Vernunft ist so etwas wie ansteckende Gesundheit
22. Mai 2008 – 19:33Sagte Alberto Moravia. Recht hat er.
Drum ist sie ja hierzulande im Krankheitswesen nicht gefragt. Ullala und der Fliegenträger spielen unter Merkels Schwingen böse Spiele für das Volk. Gestern noch hart aber unfair von dem blasierten Plasberg propagiert und angepriesen.
Grad war der 111. Deutsche Ärztetag. Und es gibt das Ulmer Papier. Hier ein Auszug aus dessen Epilog:
Durch die Zentralisierung medizinischer Entscheidungsprozesse bei staatlichen und substaatlichen Institutionen einerseits und die Ausrufung des Preiswettbewerbs unter den Leistungserbringern andererseits ist ein überbordendes Vorschriften- und Kontrollsystem entstanden, das Zeit in der Patientenversorgung kostet und den Druck zur Rationierung bis ins Unerträgliche erhöht.
Die in diesem „Ulmer Papier“ vom 111. Deutschen Ärztetag beschlossenen Leitsätze und Anregungen sollen helfen, patientenfeindliche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Im Mittelpunkt eines funktionierenden Gesundheitswesens muss wieder der kranke Mensch stehen und nicht mehr der Geschäftsgegenstand Diagnose.
Nur dann besteht die Chance, auch unter den Bedingungen einer verschärften Mittelknappheit, gute Patientenversorgung und ärztliche Berufszufriedenheit herzustellen. Dann werden Ärztinnen und Ärzte sowohl ihre Kompetenz, als auch Empathie und Zuwendung für Patientinnen und Patienten noch umfangreicher einbringen können.
Interessiert die Politik nicht. Die können nur Eulenspiegelei – vorsichtig formuliert.
Doch: was sagt das Wählerstimmvieh Volk dazu?!
Wie kommt das eigentlich an? Bei der Bevölkerung? Bei den Medien? Bei der Basis draußen im Lande? Wir haben den Test in Kliniken und Praxen gemacht – beim Stichwort Ärztetag wird enerviert bis lethargisch abgewinkt. Oder desillusioniert gekontert: „Vergiss es, der Ärztetag, dieser Lobbyisten-Zirkus“.
Circus Maximus? Circensische Politspiele, die – ob in den vergangenen Jahren in Bremen, Magdeburg, Münster oder eben in Ulm – nicht mehr verfangen? Allenfalls ein Achselzucken der Desillusion und Verdrossenheit evozieren, mögen die Standesvertreter den Standesvertretern im Kongresszentrum auch tosenden Beifall zollen, während draußen vor der Tür ostentativ ein Standpunkt demonstriert wird: „Bürokratie! Tod des deutschen Gesundheitswesens!“
Wohl wahr, damit gehen die drinnen, die draußen – wir alle d’accord. Selbst die Ministerin signalisiert stets Interesse und ködert wie weiland Till Eulenspiegel mit Auspizien: 2,5 Milliarden Honorarreform statt der postulierten 4,5 Milliarden, Subventionsspritze für den Krankenhaussektor.
Sie erinnern sich noch an die 89. Historie des Bürgerschrecks mit Narrenkappe? Haben wir in Gestalt der Ministerin eine Palingenesie in Gestalt des Wunderdoktors? Samsara: Dr. Eulenspiegel alias Schmidt verspricht der kranken Ärzteschaft pandemisch Gesundheit, alle humpeln Jahr für Jahr vom Ärztetag. Status praesens: „as always“! Die Spitalmeisterin ist begeistert, der Spalierlauf hat ein Ende.
„Ulmer Papier“? Ach ja, da war doch was, bescheidet die Ministerin den Präsidenten: „Die Politik wird nicht entscheiden, was medizinisch notwendig ist oder nicht.“ Das kommt nicht in die Tüte, basta! Und der Rest des exakt 35 Seiten „langen“ von der Ärzteschaft verabschiedeten Paper, vom Prolog bis zum Epilog? Mon Dieu, unter anderem, das überrasche sie sehr: Ein „Gesundheitsrat“, der mit Argusaugen à la Staatraison rationiert …
Ratio, rationabel, Rationabilität, Rationierung? Und schließlich wieder eine Ratio legis, Reform um Reform bis zum Gesundheitsfonds? Professor Hoppe, welcher der Ministerin gentlemanlike auch mal zuvorkommend eine „Emser Pastille“ reicht: „Das wollen wir nicht mehr.“ Und will die Rationierung, vulgo: zugeteiltes Maß, eiserne Rationen zum Wahlkampfthema machen. Frau Schmidt: „Es gibt keine medizinisch notwendigen Leistungen, die nicht mehr finanziert werden.“ Das könnte man als „Stereo-aneinander-vorbei-parlieren“ bezeichnen!
Was, wie generell das Verständnis für den Ärztetag – „out of Ulm“ – jammerschade ist und eine Jeremiade wert ist. Das „Ulmer Papier“ nämlich ist weit mehr als Prolog und Epilog bis hin zu dem geistreichen Zitat von Hermann Kerschensteiner: „Der ärztliche Beruf ist wunderlicher Natur.“ Was eigentlich an diesem Gemisch von Wissenschaft, Kunst, Handwerk, Liebestätigkeit und Geschäft ist das Wesentliche?
Um diese Denkaufgabe zu lösen, braucht es geistvolle und kluge Köpfe, die wir ja durchaus haben: Das zeigt das „Ulmer Papier“, das neben dem „J’accuse“ – unter anderem gegen den hierarchischen „Wildwuchs“ an Kontrolle im Stile G-BA und IQWiG – ebenso ehrliche wie effiziente Lösungsansätze aufzeigt. „Honi soit qui mal y pense“, das meinen wir ernst, vom Vorbild „Nurse Practioner“ bis zu Honorierung und Eigenverantwortung!
Wie aber wird das an die Basis gebracht? Ohne dass es gleich hieße: „Tut mir leid, das gibt mein Budget nicht her!“ Und ansonsten verlässt man sich auf die Journaille, die kennt sich aus – wer sie liest, liest mach-dir-deine-Meinung, das zeigt das bis ins Unmaß strapazierte Wort von der „Rationierung“, als endete hier der aktive Wortschatz von Professor Hoppe. Am Ende schreibt hier – klassische Skribenten-Krankheit – einer vom anderen ab.
Vernunft, die etymologisch ja bekanntlich nicht weit entfernt ist von der Ratio, über diese schrieb kein Geringerer als Moravia: Vernunft ist so etwas wie ansteckende Gesundheit. Diese Influenza im Geiste Kants scheint uns allen angeraten, um das kranke System in puncto „Politinfektiologie“ apriori immun zu machen. Dazu gilt es sich schlau zu machen, am besten mit der Lektüre des „Ulmer Papier„. Der Vernunft kann bekanntlich nichts widerstehen! (Quelle:
8 Kommentare zu “Vernunft ist so etwas wie ansteckende Gesundheit”
Was das Stimmvieh so denkt? Teilweise schreibt es bissige Kommentare, wie in der „Welt online“ von heute:
http://www.welt.de/fernsehen/article2020917/Plasberg_und_die_Frage_ob_Aerzte_zuviel_verdienen.html
(sorry, langer Link).
Übrigens soll Ulla Schmidt ja schriftlich geantwortet haben, als sie das Ulmer Papier bekam:
„Ich sitze auf einem gewissen Örtchen und habe das Ulmer Papier vor mir. Gleich werde ich es hinter mir haben.“
Ulla hält Moravia übrigens für eine Biersorte. Damit liegt sie nicht falsch, gibt es im Norden.
Bisher wußte ich immer, welche Partei ich wählen werde. Ich weiß es jetzt nicht mehr.
geschrieben von Michael - Baudax am 22. Mai, 2008
eine partei wählen? in deutschland? da weißte doch gar nicht, was du wählst… bürgerfeindlickeit mindestens… menschenfeindlickeit ist ja grad das aktuelle thema der politik…
geschrieben von Doc Sarah am 22. Mai, 2008
Ich war immer der Meinung, zur Wahl zu gehen ist Bürgerpflicht, wer nicht wählt, hat kein Recht darauf, später zu kritisieren.
Heute glaube ich, es ist Bürgerpflicht, dass wir nicht zur Wahl gehen.
Ich weiß nicht, was man machen kann, damit im Bundestag wirkliche Volksvertreter und keine Interessenvertreter mehr sitzen.
geschrieben von Michael - Baudax am 23. Mai, 2008
Richtig interessant wäre es, wenn die Wahlzettel ein weiteres Kästchen enthalten würden – „weiss nicht / kann niemand meine Stimme geben“. Dummerweise wird sich keine Partei auf so was einlassen.
Bundes- und Landtagswahlen kann mensch schlechten Gewissens knicken…
Andererseits aber Kommunalwahlen, da weiss mensch noch, wo sie ihr Kreuzchen machen kann (da dann alles beim Alten bleiben darf). Haben wir hier übermorgen, mein Blog quillt schon über 😉
LG aus Selent
geschrieben von Frank am 23. Mai, 2008
@don franko: die demokratur in diesem staate wirft so manch arge frage auf… ich halt die daumen für selent und die freie schule!
geschrieben von Doc Sarah am 23. Mai, 2008
@Frank
Zustimmung besonders für die Kästchenlösung.
Wir gehen ja auch in SH zur Kommunalwahl, obwohl da schon fast die Mehrheit nicht mehr wählen geht.
Gerade heute zu lesen:
http://www.welt.de/hamburg/article2027189/Das_Gespenst_der_Kommunalwahl_heisst_Boykott.html
geschrieben von Michael - Baudax am 24. Mai, 2008