Doc Sarahs Praxisreport Vol.IV

29. Oktober 2010 – 12:00

Mit Praxisreport Vol.IV lass ich Euch mal richtig hinter die Kulissen blicken.. auch über ein Tabuthema: das Leiden des kranken Versicherungswesens durch missbräuchliche Inanspruchnahme.
Freu mich auf reges Kommentieren..

(Das schöne Foto hier ist übrigens das Titelbild des neuen Praxisflyers für unsere Patienten – hab ich bei istock extra erworben – den Flyer darf ich aber hier nicht einstellen, denn laut Berufsordnung darf ich nicht damit werben, sondern nur meine Patienten informieren.)

Montag, 25.10.2010
Termintrolle die Vierte… Also nach Praxisreport Vol.I, Vol.II und Vol.III. Z.B. eine Neupatientin vereinbart Akut-Termin für heute, um diesen 20 Minuten später wieder abzusagen, weil’s doch nicht so schlimm sei.
Irgendwann im termintrolligen Montagstrubel erscheint meine Lieblingstierärztin und Freundin Dr.Kathrin Löhring und bringt mir schon mal die Euthanasie-Spritzen für meinen alten Kater Herr Schmitt (21), der seit dem Tod von Kumpel Fritz the Cat zunehmend abbaut. Ich hab die Medikamente lieber im Haus, damit Schmitti jederzeit erlöst werden kann, wenns ihm schlechter geht. Aber ich wünsche mir sehr, daß er einfach so einschläft.

Was mich freut, ist die tolle Resonanz auf das Interview, das Elita Wiegand mit mir zum Thema Ernährung geführt hat und erst wenige Stunden im Business Club innovativ.in online ist. Bis zum Abend schon ca. 1000 Leser!

Dienstag, 26.10.2010
Die Akut- und dann wieder nicht Patientin von gestern kommt heute. Akut. Aber wegen etwas anderem Akuten.
Dafür erscheint ein Neupatient erst nach seinem Termin und zwei überhaupt nicht.
Dafür kommt ein sehr netter Neupatient, der meine Telefonistin nicht richtig verstanden hatte und nun fragte, was denn „geistliche Medizin“ (statt „Ganzheitsmedizin“) sei. Interessanterweise hat dieser Verhörer den gestandenen Business Mann nicht abgehalten, mich aufzusuchen. Nun denn – in der Ganzheitsmedizin werden Geist und Spiritualität ja mit angesprochen.

Mittwoch, 27.10.2010
Und schon wieder erscheint eine Neupatientin einfach nicht. Obwohl wir sie gestern noch angerufen haben zur Terminbestätigung. Ich bin stinksauer, denn das war mein erster Termin des Tages und ich wär lieber länger im House of Avalon bei den Doc Blog Dogs und dem sich davonschlafenden Kater geblieben.

Dafür ist der Besuch einer vormals schwerkranken und jetzt genesenden Patientin ein Highlight. Sie hat in sich und ihre positive Energie zurückgefunden. Immer wieder schön, Menschen auf diesem Weg zu begleiten.

Meine Praxis-Software treibt mich allerdings fast in den Wahnsinn. Ich will einen Newsletter verschicken, aber das Ding kann nur Serienbriefe. Papier! Und das in 2010. Und auch das läuft nicht fehlerfrei.
Aber ich computeraffines Wesen finde ein Work-Around und Business-Club sei Dank kenn ich jemand, der mir bei helfen kann –
Stefanie Gnörich – Management Assitance Service.

Donnerstag, 28.10.2010
Doll – das Interview „Gekocht wird im Fernsehen“ haben bis heute fast 2000 Menschen gelesen. Und es gibt viele gehaltvolle Kommentare. Von den üblichen Ärzte-Bashing Trolls mal abgesehen. Schauts Euch mal an!

In der Praxis mal wieder ein schickes Mißverständnis: Patient hält Termin nicht ein und wartete stattdessen auf meinen Anruf… Dabei war er zur Besprechung in der Praxis mit mir verabredet. Kommt dann später. Mitten in meine administrative Arbeit. Die darf ich dann abends dahein erledigen. Nach der Telefonsprechstunde.

Einen anderen Patienten behandeln wir auf Syphilis. Den klassischen Ausschlag hatten weder der Dermatologe noch der Urologe, bei denen er zunächst vorstellig wurde, erkannt. Toll. Warum laufen Patienten eigentlich so selbstgesteuert zu den Fachärzten der kleinen Disziplinen?! Hatte die Regierung nicht mal was vom Facharzt für Allgemeinmedizin als Lotse gefaselt ?! Warum ist das bei den Patienten nicht angekommen?!

Dann meldet sich die Sozialarbeiterin des Krankenhauses, in das ich die Notfallpatientin aus der letzten Woche zur Notfall-OP eingewiesen hatte und fragt, ob ich eine Reha-Kur für sinnvoll hielte. Die Krankenschwestern hätten das angeregt. Mit der Patientin habe sie selbst noch nicht gesprochen, aber diese hätte den Schwestern gesagt, man solle mich befragen. Sie wüsste es selbst auch nicht. Ja, kann ich Hellsehen?! 20 Minuten sinnfreies unentgeltliches Gespräch mit episch konfabulierender Sozialpädagogin. Anschließend 2 Minuten Meditation zum Runteratmen und nicht Ausflippen.

Freitag, 29.10.2010
Übrigens – die Termintrolle meiner Praxis sind zu 95% GKV versichert. Arztleistung ist wohl nichts mehr wert. Und was im GKV Bereich – also der Kassenmedizin – so an Notfallversorgung in Anspruch genommen wird, zeig ich Euch mal am Beispiel einer engagierten gynäkologischen Kollegin. Ihr Wochenreport aus einem Ärzteforum hier anonym veröffentlicht (natürlich mit Erlaubnis):

1. „übelstes Brustkrabbeln“ ( zu knapper BH)

2. “ Ziehen von den Eierstöcken bis in die Brust“- hatte gar nichts, nur Langeweile

3. starke Schmerzen bei Frühschwangerschaft.(Sonntag abend im Notdienst, vom Krankenhaus weggeschickt), da Verdacht auf Bauchhöhlenschwangerschaft. sofort losgefahren, freche Göre wollte nur wissen, ob sie wirklich schwanger ist, damit sie den „Alten“ heut noch fertig machen kann, Schwangeschaftstest würde ja Geld kosten und der Notdienst kostet gar nichts (Befreiung).Wenn sie die Schmerzen nicht erfunden hätte, wäre ich ja nicht gekommen. Anwesende Freundin wollte dann auch gleich mal noch Schwangerschaftswoche festgestellt haben, da die Regel immer zur selben Zeit wie bei der Freundin ist- habe beide rausgeschmissen. Nächster Satz dann wie immer: „Ich verklage Sie wegen unterlassener Hilfeleistung“ – auch da bekommen sie ja Gutscheine als Sachleistung.

4. Unterbauchschmerzen, nach Feststellung der Blasenentzündung meinte sie, das ihr das schon klar war, aber beim Hausarzt hätte sie warten müssen und beim Urologen hat sie erst in 1 Woche Termin bekommen.

5.Anruf Tochter mit Forderung nach Hausbesuch für ihre Mutter (20 km entfernt wohnend). Blut in der Windel seit Katheterwechsel durch den Pflegedienst.

6. Etwa wöchentlich Anforderung eines Hausbesuchs im Pflegeheim wegen übelriechendem Ausfluss bei alter Dame, die schon die Nahrungsaufnahme verweigert. Beim Eintreffen immer die Windel bis zum Nabel voll Sch….., gebetsmühlenartig wieder Pflegehinweise, Personal fühlt sich angegriffen.

7. Patientin kommt gleich mal 1/2 Stunde später, weil sie ja sowieso warten müßte, da kann sie auch gleich später kommen- Wartezeit bei uns im Normalfall 10 min.

8. Patientin fordert Überweisung zum MRT, hat schon mal wegen der langen Wartezeiten selbst Termin gemacht, weil jetzt schon 5 Ärzte ihre Bauchschmerzen (typische Verwachsungsbeschwerden, nix dramatisches) nicht ernst genug nehmen.

9. täglich mehrmals aggressive Forderung nach Beschäftigungsverbot, teilweise schon vor Eintritt der Schwangerschaft, Beschimpfungen, weil Schwangerschaft und Arbeiten zwei Dinge sind, die nie zusammen gehen.

10.Fast täglich Mütter , die Ihre Kinder zum Toben in der Praxis animieren, damit sie eher dran kommen, weil alle genervt sind.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, Der Missbrauch nimmt kein Ende, wenn es keine adäquate Selbstbeteiligung oder zumindest etwas mehr Aufwand für die Inanspruchnahme gibt. Die Sozialduselei kann ich nicht mehr hören. Sollen die „Gutmenschen“ doch Sozialsprechstunden anbieten, wenn sie für diese ungebremste Inanspruchnahme plädieren, meinetwegen zahle ich dafür auch ein paar Euro mehr Steuern. Ich fühle mich täglich missbraucht wie eine Prostituierte, die dann auch noch um ihr Geld beschissen wird.

Ansonsten wird keiner von uns einen wirklich Kranken wegschicken, auch wenn er nicht versichert ist und nicht gleich bezahlen kann. Nur wird dieses kostenlose System permanent zur Befriedigung psychosozialer Bedürfnisse missbraucht- es ist das Einzige, wo es was umsonst gibt, egal wie ich mich benehme und ob ich mich selbst solidarisch beteilige.

Natürlich haben wir auch jetzt schon Privatpatienten, die die Erstattung der Rechnung für ihren Urlaub nutzen. Beim ersten Mal nehmen wir sie noch mal dran, wenn sie die ausstehende Rechnung vorher beglichen haben, bei Wiederholung dann wirklich gegen Vorkasse. Auch da gibt es wirklich arme Scheinselbständige (Dekorateure, Hauswirtschafterinnen, Imbißverkäuferinnen), die meist noch Verträge mit hoher  Selbstbeteiligung abgeschlossen haben,um Beiträge zu sparen. Da machen wir auch mal eine Teilzahlungsvereinbarung.

Angst vor der Kostenerstattung haben nur die Sachleistungsprofiteure und die darüber stehenden dann nicht mehr notwendigen Bürokraten.

Die ehrlich arbeitenden Ärzte sind im Moment auf der untersten Stufe der Nahrungskette. Alle weiteren Milliarden werden auch weiter nicht bis da ganz unten durchkommen.

Aber darüber berichten die regierungstreuen Medien nicht. Und die Vollversicherten der sogenannten Solidargemeinschaft wollen es mehrheitlich auch nicht wissen und wahrhaben..
Ihr seht: es ist in diesen Zeiten nicht leicht, ein Arzt zu sein. Ohne eine extrem hohe Frustrationstoleranz und wirkliche Liebe zum Beruf, Empathie für die Patienten, lassen sich die immer und zu jeder Zeit erwarteten Bestleistungen kaum erbringen.

Verwandtes:

  1. 8 Kommentare zu “Doc Sarahs Praxisreport Vol.IV”

  2. DocSarah

    [New Post] Doc Sarahs Praxisreport Vol.IV – via #twitoaster http://www.doc-sarah-schons.de/blog/2010

    geschrieben von DocSarah am 29. Okt, 2010

  3. elitaw

    RT @DocSarah: [New Post] Doc Sarahs Praxisreport Vol.IV – via #twitoaster http://www.doc-sarah-schons.de/blog/2010

    geschrieben von elitaw am 29. Okt, 2010

  4. just me

    Was soll ich dazu eigentlich noch sagen? Wie Du schon schreibst, darüber berichten die Medien nicht. Und wenn es mal den Hauch eines Versuches gibt, über die wahren Umstände aufzuklären, will das sowieso keiner hören. Nur zu gern hält der Bürger an seinem Mythos fest, Ärzte hätten allenfalls Probleme, ausreichende Parkplätze für ihren Fuhrpark in der dichtbesiedelten Großstadt zu finden. Sie glauben, wir jammern auf hohem Niveau.
    Aber das scheint politisch ja auch so gewollt. Wer blickt denn noch durch, im Dschungel Gesundheitssystem? In dieser schnelllebigen Gesellschaft hat kaum noch jemand Muße, sich mit diesen Details auseinanderzusetzen. Wenn man es tut, fängt man an, sich zu fürchten. Seien es Mafia-ähnliche Strukturen in den Chefetagen der Kliniken oder in der Pharmaindustrie, die gewaltige Abhängigkeitskonstrukte erbaut haben, in denen sich der ehrlich arbeiten wollende Arzt verfangen kann, und der monetär interessierte mit fehlendem Idealismus WIRD.

    geschrieben von just me am 29. Okt, 2010

  5. Doc Sarah Schons

    @ just me: es scheint wie das schweigen der lämmer – über 1200 leser bis jetzt auf dem blogpost, viel feedback via skype, email etc. – ausser dir schreibt bislang keine/r einen kommentar. tja, wer will schon wahr haben, daß politik=pharma und selbstlaufende solidargeimeinschafts inanspruchnehmer den hehren arztberuf zum kiez degradieren. der hippokratische eid gibt eine ganz andere guideline vor. zitat daraus:“Ich werde jedem Menschenleben von seinem Beginn an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden.“
    die bedrohung ist die etablierte krankheits-pharma politik und das ignorante verhalten der solidarversicherten. und wir ehrlichen, engagierten ärzte müssen diesen spaghat tragen. nicht nur ethisch, sondern auf -lest das bitte- billig lohnniveau.

    geschrieben von Doc Sarah Schons am 30. Okt, 2010

  6. Susanne

    Unser Versicherungssystem selbst ist ja leider schon Anreiz zum Missbrauch. Denn je mehr ich an Leistungen konsumiere, umso mehr bekomme ich für meine Beiträge. Wer auf seine Gesundheit achtet und wenig ärztliche Leistungen in Anspruch nimmt, ist halt selbst schuld. Einen Bonus für Nichtraucher, Normalgewichtige, gesunde-Ernährung-Praktizierende usw. sieht dieses System nicht vor.

    Wenn ich z.B. regelmäßig zur Prophylaxe zum Zahnarzt gehe, bezahle ich diese Leistung selbst. Egal, ob ich damit zukünftige Behandlungskosten vermeide. Die Kariesbehandlung zahlt die Kasse.
    Eigenverantwortung wird in diesem System eher bestraft als belohnt.

    Solange Gesundheit in unserem sog. Gesundheitswesen keinen Wert hat, wird es weiterhin ausgenutzt werden und der Gesunde ist der Blöde, der das alles noch mit seinen Beiträgen finanziert.

    geschrieben von Susanne am 01. Nov, 2010

  7. christina

    klar liegt der fehler im system – das sich m.m. völlig zu unrecht „gesundheitssystem“ nennt.

    als patient bin ich allerdings auch schon an ärzte geraten, über die ich nur den kopf schütteln kann und diese sind leider auch keine seltenheit. gestaunt hab ich besonders, als ich von der gesetzlichen in die private KV gewechselt hab, dass man da als kassenpatient sauer wird, ist auch kein wunder.

    die kunst liegt darin, einen wirklich guten arzt zu finden, dem man vertrauen kann.

    solange es aber profiteure gibt, die von der pharma lobby fürs fleissige verschreiben von krankmachenden medis bezahlt werden, bleibt nur, dass sich ärzte und patienten verbünden und gemeinsam neue wege einschlagen.

    ich hab mal gelesen, dass es in china mediziner geben soll, die von ihren patienten bezahlt werden, so lange sie gesund sind und wenn sie krank sind, dann erfolgt die behandlung kostenlos. ob’s stimmt oder nicht, DAS finde ich mal einen guten ansatz und ein ECHTES GESUNDHEITSSYSTEM.

    geschrieben von christina am 04. Nov, 2010

  8. Doc Sarah Schons

    @susanne: ja, wir haben eben kein gesundheits- , sondern ein krankheitssystem. und das mit der eigenverantwortung ist leider ein schwindender wert in dieser gesellschaft..

    @christina: das alte chinesische modell impliziert wertschätzung des arztes, einhaltung von dessen empfehlungen -insbesondere zur lebensführung und ernährung- eigenverantwortung etc. wie soll das denn hier funktionieren?!

    geschrieben von Doc Sarah Schons am 04. Nov, 2010

  9. christina

    @sarah, natürlich kann man das nicht von heute auf morgen einführen, alles ist ein prozess.

    eine finanzierte studie zu einem solchen modell wäre z.b. eine idee. wenn’s funktioniert ist der rest kommunikation.

    gemeinschaftliche eigeninitiative ist m.m. auch hier der einzig gangbare weg.

    geschrieben von christina am 04. Nov, 2010

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